Wieso es keine:n ‚Nachtbürgermeister:in‘ in Leipzig gibt und das auch gut so ist

Alles begann mit einer einmaligen Errungenschaft: Nach jahrelanger Arbeit mit verschiedenen Stakeholdern der Nachtkultur wird federführend vom LiveKommbinat Leipzig das Konzept zur „Koordinierungsstelle Nachtleben Leipzig“ [1] veröffentlicht und am 15. Juli 2020 an OBM Burkhard Jung und Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke überreicht [2]. Anfang 2021 wurde das Thema ‚Nachtbürgermeister‘ großflächig in der Presse aufgegriffen. Menschen wollten sich für das ‚Amt bewerben‘. Bewerben konnten sich Interessierte für einen Job in der Stadtverwaltung: Im Oktober 2021 nimmt Nils Fischer im Kulturamt seine Arbeit als Fachbeauftragter für Nachtkultur im Kulturamt Leipzig auf. Ein Monat zuvor, im September 2021 gründet sich der im Konzept vorgesehene NachtRat [3].  

Mancherorts konnte in der Presse und von Lokalpolitiker:innen vernommen werden, dass es hier um ‚den Nachtbürgermeister‘ oder ‚die Nachbürgermeisterin‘ gehen würde. Das klingt intuitiv richtig, ist aber bei genauerem Hinsehen nicht korrekt und für das eigentliche Anliegen missverständlich – ja, sogar schädlich.  

Deshalb gilt: Es gibt keinen ‚Nachtbürgermeister‘ oder eine ‚Nachbürgermeisterin‘ in Leipzig. Wir wiederholen alle zusammen

Quelle www.addletters.com

Wieso Doppelspitze spitze ist

Jüngst gab es ein Interview mit Nils Fischer und Felix Heukenkamp vom LiveKommbinat Leipzig in der L-IZ [4]. Das Interesse an der Rolle des vermeintlichen ‚Nachbürgermeisters‘ ist gleichbleibend hoch. Und die Aufklärung darüber in einer coronabedingten Krise, die Nachtkultur seit zwei Jahren nachhaltig erschüttert hat, hinderlich.  

Wir möchten das Thema gerne aufgreifen und versuchen mit diesem Text und dem Verweis auf das aufschlussreiche Interview in der L-IZ die Frage nach ‚dem Nachtbürgermeister‘ etwas geradezurücken: Was hat es also damit auf sich?  

Aus guten Gründen und mit viel Abstimmungs- und Erklärungsbedarf befand die Koordinierungsgruppe, die das Konzept für NachtRat und ‚Koordinierungsstelle Nachtleben‘ gestaltet hat, dass eine Aufteilung der Rolle in eine Doppelspitze der geeignetere Weg wäre. Einerseits um den Bedürfnissen einer stark differenzierten Nachtkultur und andererseits den Anforderungen der Arbeit mit der Welt der Stadtverwaltung Leipzig und anderen Behörden gerecht zu werden. Der etwas vereinfachende Wunsch beide Rollen in einer Person (‚One-Man-Show‘) zu vereinigen bäckt potentiell Interessenskonflikte in eine idealerweise nachhaltige Struktur.  

Daher sollte eine Doppelspitze aus Szenevertreter:in (‚Koordinierungsstelle Nachtleben‘) und einem Fachbeauftragten für Nachtkultur (Mitarbeiter:in Stadtverwaltung Leipzig, Kulturamt) geben (vgl. Abbildung).  

Botschaft der Nacht – Schematische Darstellung

Spitze A – Fachbeauftrager für Nachtkultur

Die Arbeit des Fachbeauftragten für Nachtkultur begann mit der Arbeit von Nils Fischer, der seit dem 1. Oktober 2021 im Kulturamt arbeitet. Die Rolle des Fachbeauftragen ist explizit nicht politisch oder öffentlichkeitswirksam angelegt, sondern passiert auf der Verwaltungsseite, in Gremien, AGs, Verbandssitzungen, bilateraler Kommunikation, etc. Die Arbeit ist wichtig, weil sie als Brückenbauer und Übersetzer innerhalb der Stadtverwaltung und zwischen den verschiedenen Ämtern funktioniert. Unsere Erfahrung sagt: Nur dann haben komplexe Anliegen auch eine nachhaltige und für möglichst viele Betroffene realistische Chance angepackt und gelöst zu werden. Dabei geht es für den Fachbeauftragen für Nachtkultur im Besonderen darum, verwaltungsintern Verständnis zu wecken, ansprechbar zu sein und bisher lose Enden zusammenzubinden.  

Spitze B – ‚Koordinierungsstelle Nachtleben‘ 

Die ‚Koordinierungsstelle Nachtleben’ entspricht am ehesten dem, was intuitiv als ‚Nachbürgermeister:in‘ verstanden werden könnte: Gewählt, szenenah, relativ unabhängig und an den (Nacht-)Rat gekoppelt. Diese herausfordernde Rolle hat bisher keine Besetzung erfahren, weil trotz umfangreicher Suche bisher keine Mittel für die Finanzierung der Stelle sichergestellt werden konnten.  


Wieso gibt es bisher keine Finanzierung der ‚Koordinierungsstelle Nachtleben‘?  

Coronabedingt gibt es zwar eine Vielzahl von Fördermaßnahmen und Wirtschaftshilfen, aber keine Mittel für dezidierte, bereichsübergreifende, strukturell langfristig angelegte Netzwerkarbeit und Interessensvertretung, die Synergien aus der Vernetzung verschiedenster Partner:innen schöpfen will.  

Dass es nicht einfach werden würde eine unabhängige Spitze in der Doppelsitze zu finanzieren, war schon in der Konzeptionsphase bekannt. Die Herausforderung die Doppelspitze so zu gestalten, war aber die bewusste und begründete Entscheidung der Koordinierungsgruppe, die das Konzept für NachtRat, ‚Koordinierungsstelle Nachtleben‘ und den Fachbeauftragten gestaltet hat.   

Wieso dann also nicht aus eigener Tasche bezahlen? Leider sind Mittel aus ‚der Szene‘ oder Nachtkultur selbst gerade rar gesät: Corona hat tiefe Löcher in die Kassen der Kulturschaffenden gerissen. Für viele Clubs und Livemusikspielstätten gab es bereits vor Corona keine nennenswerten Rücklagen. Mit der begonnenen Wiedereröffnung nach fast zwei Jahren (und mit kurzer Unterbrechung für manche im Herbst 2021) geschlossener Türen steht die eigentliche Rehabilitation noch aus. Große finanzielle Sprünge sind Stand heute schwerlich möglich oder in absehbarer Zeit vorstellbar.   

Die Suche nach einer Finanzierung der ‚Koordinierungsstelle Nachtleben’ als Teil der Doppelsitze wird und muss daher weitergehen. Zur schnellstmöglichen Umsetzung der Doppelspitze wollen wir auch weiter Gespräche mit der Landes- und Stadtpolitik suchen. 


Welche Rolle spielt der NachtRat?  

Der NachtRat ist das ehrenamtliche, interessen- und szeneübergreifende Gremium des Nachtlebens in Leipzig. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es bisher keine dezidiert breitangelegte und dauerhaft verankerte Perspektive auf Nachtleben mit der entsprechenden Beteiligung in Leipzig gegeben hat. In regelmäßigen Treffen des NachtRats geschieht die notwendige Vernetzungs- und Vermittlungsarbeit, welche den gemeinsamen Querschnittsthemen und unterschiedlichen Anliegen Raum gibt und es erlaubt, nachhaltige ‚nachtgerechte‘ Lösungen zu finden.   

Nach außen übernimmt der Nachtrat eine beratende und unterstützende Funktion für die Doppelspitze und über diese auch für die Verwaltung und Politik. Diese wichtige Funktion kann der NachtRat erst dann voll wahrnehmen, wenn die Besetzung der vorgesehenen Stelle vollzogen ist. Deshalb ist eine der wichtigsten Aufgaben ist die Finanzierung der ‚Koordinierungsstelle Nachtleben‘ (vgl. Doppelspitze).  

Ziele des NachtRats
• kommunikative Schnittstelle für Nachtökonomie, öffentliche Behörden und andere nachtkulturelle Institutionen
• setzt sich für Etablierung, Erhalt, Revitalisierung und Förderung einer vielfältigen, beständigen, nachhaltigen und lebendigen Nachkultur ein
• fordert und fördert die Entwicklung und Durchsetzung von Antidiskriminierungs- Arbeit, Gewaltprävention, Aufklärung u. Risikominimierung im Gesundheitsbereich
• vermittelt zw. allen Parteien, Krisenprävention, Sensibilisierung aller Konfliktparteien

Wie geht es weiter?  

Es gibt noch keine Finanzierung der ‚Koordinierungsstelle Nachtleben’, leider. Und ehrlicherweise hat es sich niemand leicht vorgestellt, das vielschichtige, aber wichtige Thema Nachtleben von heute auf morgen in den Tagesordnungspunkten der Stadtgesellschaft zu verankern. Der eingeschlagene Weg wird gerne missverstanden und ist zudem mit vergleichsweise unabhängiger Finanzierung noch schwieriger zu erreichen. Aber wir halten es für den richtigen Weg. 

Zugleich gibt es eine verstärkte Absprache- und Zusammenarbeitskultur, die bedingt durch die desolate Lage während der Corona-Krise von vielen Beteiligten geleistet wurde und auch weiterhin wird. Wir sind zuversichtlich, dass wir den großen Wurf auch personell gestärkt umgesetzt bekommen werden. Das hätten nach Corona allemal Menschen des Leipziger Nachtlebens und Nachtkultur verdient.  

Inzwischen ist es gerade deshalb wichtig, dass jeder Person bewusst(er) wird, wieso in Leipzig ein Modell entwickelt wurde und verfolgt wird, dass in voller Absicht nicht die öffentlichkeitswirksame One-Man-Show aka ‚Nachtbürgermeister‘ favorisiert hat.  

Daher wiederholen wir alle zusammen: Es gibt keinen ‚Nachtbürgermeister‘ oder eine ‚Nachbürgermeisterin‘ in Leipzig.

Text: Jörg Kosinski fürs LiveKommbinat Leipzig e.V.

Quellen